Dr. Siham Issami
„The most tragic form of loss isn't the loss of security; it's the lossof the capacity to imagine that things could be different.“„Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen.„It is a question of learning hope.“ Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, The Principle of Hope
Einleitung
Chesterton pflegte zu sagen: "Es ist leicht zu sehen, warum eine Legende respektvoller behandelt wird und behandelt werden sollte als ein Geschichtsbuch. Die Legende wird im Allgemeinen von der Mehrheit der Menschen im Dorf hervorgebracht, die geistig gesund sind. Das Buch wird im Allgemeinen von dem einen Mann im Dorf geschrieben, der verrückt ist.“ Lassen Sie uns also auf die vernünftige Mehrheit der Menschen im Dorf hören, denn sie haben einmal diese Geschichte erzählt:
Alexander der Große sich als sein eigener Botschafter verkleidete und die Königin von Persien Nusabeh traf. Jedoch verrieten ihn sein Gesicht und seine Gesten und brachten ihn in Gefahr. Er wusste nicht, dass die Königin die Porträts von Königen und Kaisern ihrer Zeit auf eine Seidenrolle malen ließ. Sie beruhigte ihn und hieß ihn willkommen, dann entrollte sie die Seidenrolle und sprach zu ihm: „Ich zeige dir dein eigenes Bild, damit du das Bild, das du von mir hast, verändern kannst!“ Diese kurze Geschichte bringt die schwierige und komplexe Beziehung, die Orient und Okzident miteinander hatten und noch haben, auf den Punkt. Aber sie gibt uns auch einen wichtigen Schlüssel für die wechselseitige Anerkennung und das gegenseitige Verständnis. Diese Schlüssel ist : das Selbstbild im Blick des anderen. Das ist der Anfang von allem. Eine Begegnung beginnt mit einem Blick; zu schauen heisst, eine Perspektive zu haben; eine Perspektive einzunehmen, bedeutet, eine Wahrnehmung zu ermöglichen; und aus der Wahrnehmung entsteht unsere Beziehung zu den Anderen und zur Welt.
Die Welt besteht aus zwei ungleichen Hälften: Orient und Okzident. Und diese beiden Hälften standen jahrhundertelang, ja für Jahrtausende einander gegenüber, betrachteten einander mit Unbehagen und Vorsicht, und vergaßen dabei oft, dass sie sich so auch halfen, sich zu bestimmen, zumindest durch die gegensätzlichen Bilder, die sie wechselseitig entwerfen und voneinander borgen, - Bilder, die sich überlappen und voneinander leben, und so vergaßen sie, dass sie tatsächlich jene zwei Teile sind, die diese Welt zu dem gemacht haben, was sie ist. Die beiden Hälften sind nicht vollständig getrennt, es gibt keine scharfe Linie, die sie trennt; es gibt keine Grenze, an der der Orient endet und der Okzident beginnt und vice versa. Und an diesem Punkt beginnt Nexus, oder, um es besser zu sagen: an dieser Stelle beginnt der Nexus bewusst zu werden: Indem man sich als Teil des anderen wiederfindet, das andere als Teil des Eigenen zu sehen beginnt. Aus Gründen der Klarheit und Genauigkeit, wenn Sie mir erlauben, würde ich Ihnen hier Orients Occidents Nexus und seine Zwecke in Form von Antworten auf drei Hauptfragen präsentiert. (3 W: Was? Wie? Warum?)
► Zuerst die Frage "Was?":
Orients Occidents Nexus ist ein gemeinnütziges, nicht-staatliches, unabhängiges Kulturinstitut; es ist eine Einrichtung für Forschung und für den kulturellen Dialog in den Bereichen Geisteswissenschaften, Literatur und Kunst, und es ist ein Labor der Ideen und Reflexionen. Ziel des Instituts ist es, die kulturellen und historischen Beziehungen zwischen Orient und Okzident zu erforschen und zu fördern. Angestrebt wird eine Neudefinition von Orient und Okzident und ihren Beziehungen, die die Vielfältigkeit von Orient und Okzident hervorhebt und verbreitete Missverständnisse und vereinfachende Stereotypen vermeidet. Erforscht werden soll der Beitrag, den Werke, Ideen und Persönlichkeiten des Orients und Okzidents zur jeweils anderen Kultur geleistet haben, um so die historischen Verflochtenheiten und das gemeinsame Erbe von Orient und Okzident zu verdeutlichen. Das gegenseitige Verständnis soll insbesondere dadurch verbessert werden, indem ein Bewusstsein für die Art und Weise geschaffen, wie der Okzident durch den Orient wahrgenommen wurde und wahrgenommen wird. Der europäischen Selbstwahrnehmung wird so ermöglicht, sich im Spiegel anderer außereuropäischer Gesellschaften zu reflektieren. Damit sollen die kulturellen Grundlagen für das gegenseitige Verständnis verbreitert und der Dialog zwischen den Kulturen unterstützt werden.
► Wie ? (How?)
Um diese Ziele zu erreichen, richten sich die Aktivitäten von Orients Occidents Nexus gemäß den unterschiedlichen Aspekten und Erscheinungsformen in Kunst, Wissenschaft, Literatur und Geisteswissenschaften nach vier Hauptschwerpunkten aus:
1- Under Eastern Eyes
Am Anfang habe ich von der Geschichte von Alexander und der Königin Nusseibeh gesprochen. Und das gibt uns einen Schlüssel: das Selbstbild im Blick des anderen. Denn das Bild von sich selbst im Blick des Anderen erlaubt es, nicht nur sich selbst, sondern auch den anderen zu erkennen.
Unser oberstes Ziel in diesem Schwerpunkt unseres Programms ist es, dem Okzident sein eigenes Bild zu zeigen, wie es in den Augen des Orients erscheint, damit auch er das Bild, das er vom Orient hat, verändern kann. Das Ziel soll durch das Studium der Wahrnehmung des Okzidents durch den Orient erreicht werden; es gilt die Rezeption im Osten, insbesondere in der arabischsprachigen Welt, von eminent westlichen Werken und Persönlichkeiten zu erforschen und ihre Präsenz im kollektiven Bewusstsein der orientalischen Kulturen zu erhellen. Indem der Okzident sein eigenes Bild im orientalischen Blick erkennt, vermag er wiederum sein Bild vom Orient zu revidieren. Die arabische Rezeption des Schriften Nietzsches ist unserer erste Projekt.
2- Hiwar & Nikach
Dieser zweite Fokus widmet sich herausragenden Persönlichkeiten des Dialogs zwischen Orient und Okzident in Geschichte und Gegenwart. Hiwar & Nikach Focus verfolgt zwei Linien: Betont und analysiert werden erstens historische Begegnungen zwischen bedeutenden Persönlichkeiten aus Orient und Okzident. „Der Sultan und der Heilige: Malik Al-Kamil & Francisco d’Assisi“, eröffnet diese Dialoglinie.
Zweitens sollen Parallelen zwischen herausragende Persönlichkeiten des Orients und Abendland studiert werden, die ähnliche Positionen vertreten. Diese Personen müssen sich daher nicht getroffen haben, vielmehr teilen sie z.B. dieselben Werte teilen, beeinflussen einander oder gelangen von unterschiedlichen Standpunkten zu vergleichbaren Positionen. “Ibn Arabi & Plato” eröffnet diese Reihe von Doppelporträts
3- Aleph
Aleph ist das Symbol unseres dritten Fokus, der auf die Erinnerung, Übersetzung und das Studium von Texten aus dem Orient ausgerichtet ist, die sich mit dem Okzident befassen. Es geht darum, der europäischen Welt bewusst zu machen, in welchem Ausmaß westliche Ideen und Formen des Wissens im Orient, insbesondere in der arabischsprachigen Welt, aufgenommen, interpretiert und verbreitet wurden; zugleich wird der Einfluss der arabischsprachigen Welt und des Orients auf die abendländische Kultur sichtbarer gemacht. Anhand von Textstudien soll zudem der historisch-kulturelle Austausch zwischen Orient und Okzident untersucht werden. Der Aleph Fokus umfasst drei Programme: Das Bait Al-Hikmah Programm zur Einrichtung einer Bibliothek
Das Bait Al-Jawza Programm für den Aufbau einer elektronischen Bibliothek
Das Al-Kindi Projekt für Übersetzungen.
4- Zaman & Makan
Unser vierter Fokus Zaman & Makan, Zeit & Ort, untersucht die zeitlichen und räumlichen Kreuzungspunkte, an denen Orient und Okzident sich begegneten, gleichzeitig existierten, einander bereicherten. Der Zaman & Makan Focus liegt auf zwei Leitlinien: Andalussiyat, ist ein weites Programm, das dem Studium des andalusischen Erbes in all seinen Erscheinungsformen in Kunst, Literatur, Wissenschaft und Philosophie gewidmet ist; Das Travelling Arts Programm beleuchtet und untersucht den Transfer von Kunstformen zwischen Orient und Okzident und vice versa und fragt danach, inwiefern eine Kunstform zu einem Teil der Ästhetik der anderen Kultur wurde und welche Transformationen von Darstellungs- und Ausdrucksformen sich dadurch jeweils ergaben: Reiseliteratur / Reisemusik / Reisebilder ...
► Zum Schluss stellt sich die Frage: Warum ?
Ich habe diese Frage ans Ende gestellt, weil ich der Logik der deutschen Grammatik folge, die das Verb ans Ende eines Satzes setzt: Was den Sinn herstellt, kommt am Ende. Warum also? Der Titel dieses Vortrags, der ein Zitat aus Saids Orientalismus ist, beantwortet diese Frage: „Humanismus ist die einzige, genauer, die letzte Verteidigungslinie, die wir haben, um uns gegen die unmenschlichen Exzesse und Ungerechtigkeiten zu wehren, die unsere Menschheitsgeschichte verunstalten.“
Als ich mit diesem Projekt anfing, hatte ich eine Vielzahl von Gründen im Blick, warum es unternommen werden muss. Jetzt, wo ich es unternommen habe, sehe ich tatsächlich unter all diesen vielen Gründen einen Grund, den einzigen Grund, wie die Mathematiker sagen, der notwendig und hinreichend ist, um es zu aufzubauen, was immer auch an Anstrengungen dafür nötig sind. Und dieser Grund ist: Überleben. Es klingt dramatisch, das ist es wahrscheinlich auch, aber es ist auch wahr. Und wenn ich vom Überleben spreche, so meine ich nicht so sehr das Überleben im biologischen Sinne, sondern mehr ethischen Sinne (obwohl diese beiden voneinander abhängig sind und unsere Humanität eher in unseren menschlichen Werten steckt als in irgendeinem genetischen Code).
Es ist alarmierend und niederschmetternd, zu beobachten, wie das Wort "Orient" oder "Osten" in der westlichen Sicht gleichbedeutend wurde mit: "Bedrohung" und "Rückständigkeit"! Und es ist ebenso fatal zu sehen, wie das Wort "Okzident" oder „Westen“ aus der Sicht des Okzidents zum Synonym geworden ist für "Eindringling" und "Gefahr". Der Begriff des Humanismus impliziert das Wissen um die die Individualität des Einzelnen und seine kollektive Existenz, eine Kenntnis des Mensch-Seins in all seinen Variationen. "Der Humanismus konzentriert sich auf die Vermittlung von menschlicher Individualität und subjektiver Intuition statt auf empfangene Ideen und anerkannte Autorität." Und mit dieser Vorstellung allein können wir den Schritt von der bloßen Wahrnehmung zu einer kohärenten Position machen.
Ich wünschte, ich könnte Ihnen sagen, dass wir den humanistischen Weg beschreiten, weil es der edlere Weg ist, weil es der größere und bessere Weg ist. Ich wünschte, dass wir wirklich die Wahl hätten und auch das Herz, zu entscheiden, was um seiner selbst willen groß und gut ist. Ein Humanist aus Notwendigkeit und ein Humanist aus Überzeugung scheinen zwei verschiedene Personen zu sein, denn in der Notwendigkeit gibt es einen Grad an Berechnung, den die Überzeugung nicht hat. Zudem, und aus einer anderen Perspektive, können wir glücklich sein, dass dieser einzige Weg in der Tat der nobelste aller Wege ist, da er die Überzeugung mit der Notwendigkeit verbindet. Weil er nobel ist, ist der Humanismus ist der bestmögliche und einzige Weg. Die Geschichte ist ein riesiges Feld bitterer Ereignisse und grausamer Folgen, und wir haben gesehen, dass diese entstehen, wenn wir den anderen ignorieren, wenn wir meinen, dass seine "Geschichte wie eine Tafel ausgewischt werden kann, gesäubert, damit "wir“ darauf unsere eigene Zukunft schreiben können und den anderen, die wir für geringer achten, unsere eigenen Formen des Lebens als Maß vorschreiben.
► Die Stimme des Humanismus jedoch spricht:
Die Begegnung ist diese Synthese des Ereignisses und der Ewigkeit, so hat es Bachelard formuliert. Denn nur im Dialog offenbart die Existenz selbst, dass zu ihr notwendig auch eine andere Seite gehört, wie Martin Buber sagt, allein schon deshalb, weil der Dialog unter dem doppelten Vorzeichen des Gebens und Empfangens steht, oder als ein Präludium die zweifache Tonalität des Strebens und der Inspiration anschlägt; Denn der Mensch ist nur ein Mensch unter den Menschen, wie Fichte sagt, und eine Kultur existiert nur dann in sich, wenn sie aus sich selbst herausgehen kann, da wir im Strom des universalen gegenseitigen Austauschs leben, und in diesem durch eine unaussprechliche Verbindung miteinander vereint sind. Denn wie Ibn Khaldun uns bereits gelehrt hat, ist das Zusammenleben keine Naturgegebenheit, sondern eine dem Menschen innewohnende Notwendigkeit, es ist das Erzeugnis menschlicher Intelligenz, also nichts Gegebenes, sondern eine kontinuierliche Aufgabe.
Denn am Ende sind wir alle nur Gäste auf diesem winzigen Planeten; wir alle sind Gäste im großen Haus des "Seins", und solange wir leben, können wir nicht anders als miteinander leben. Das französische Wort "hôte" bezeichnet sowohl denjenigen, der einlädt als auch den Eingeladenen; es bedeutet zugleich Gastgeber und Gast. Und so sollten auch wir unsere doppelte Eigenschaft des "hôte"(Gastgeber und Gast) anerkennen, um eine Kunst des höflichen Umgangs kultivieren, die auf dem Wissen um den Anderen, des Eigenen, und der Welt gründet. „Zart und feingliedrig wie Schmetterlinge mögen unsere Ideen von ihren ersten Anfängen in den verborgenen Kammern einzelner Köpfe wachsen, bis sie endlich die Grundlagen der Gesellschaft erschüttern; und selbst wenn sie sterben, können sie geistige Gewohnheiten hinterlassen, die unser Denken manchmal mehr prägen, als wir ahnen“(**).
Ich kann nur hoffen, dass diese Idee, dieser kleine Keim, der noch immer schwach ist, und der aus der Verbindung der zwei Hälften, aus der unsere Welt besteht, aus Orient und Okzident, hervorsprießt, durch Ihre Unterstützung und die Unterstützung von vielen anderen weiter wachsen wird und dazu beiträgt, unser Zusammenleben zu verbessern. Dies ist keine Aufgabe für ein zwei Jahre, nicht einmal für 10 oder 20, es ist die Aufgabe eines Lebens, von Generationen. Es gibt keine Abkürzungen, keine einfachen oder schnellen Methoden, es gibt nur den harten und langen sehr langen Weg; denn wenn esum menschliche Werte geht, wenn es darum geht, was uns zu dem macht, was wir sind, wenn es um die entscheidenden Fragen unserer Existenz geht, ist der kurze Weg der einzige Weg, der nicht nach Rom führt.
(*) Edward Said
(**) Albert Hourani